1. Der erste Meistertitel: 07.04.2004 – am Ziel der Träume
Es war unbeschreiblich: Zuhause, beim Eis(im wahrsten Sinne des Wortes)-Hallenspektakel in Zuchwil vor über 2500 mitfiebernden und begeisterten Zuschauern war es am 7. April 2004 endlich so weit: Der erste Meistertitel eines nicht Bündner Teams im Unihockey war Tatsache und er ging an den SV Wiler-Ersigen. Am Ziel der Träume angelangt. Natürlich war dieser Titel der wichtigste und schönste zugleich. Ein riesiges Glücksgefühl, tiefe Befriedigung, aber auch eine grosse Leere – der Titelgewinn löste die ganze Bandbreite an Emotionen aus. Mit der Schluss-Sirene wurde ich von einer schier unerträglichen Spannung erlöst, überall sah ich jubelnde Spieler, Fans die sich in den Armen lagen, Freudentränen allenthalben. Irgendwann fand ich mich auf den Schultern einiger Spieler wieder und gab ein etwas vorlautes Interview gegenüber dem Lokal-TV, nahm überschwänglich die 12. Meistertitel von Rot-Weiss Chur ins Visier. Nicht im geringsten hätte ich zu diesem Zeitpunkt daran gedacht, dass ich das tatsächlich noch als SVWE-Sportchef erleben würde und zwar exakt 15 Jahre später.
2. Der Rekordmeister – perfektes Drehbuch
Es war alles angerichtet – Superfinal 2019 gegen GC Unihockey, den Qualisieger, den ersten Herausforderer gespickt mit Nati-Cracks, die letzte Hürde auf dem Weg zum Rekordmeistertitel, in der ausverkauften Swiss-Arena in Kloten. Ich reiste mit einem guten Gefühl an, denn das Team hatte ab Playoff-Beginn ein anderes Gesicht gezeigt, spielte geradlinig, kompromisslos und über drei Linien kompakt. Im Halbfinal blieb Titelverteidiger Köniz chancenlos. Bei GC dagegen zeigte die Formkurve seit dem im Penaltyschiessen verlorenen Cupfinal gegen die Tigers abwärts. Und dann war da noch die grün-weisse Wand im Stadion, sie sollte das Team zum Rekordmeister tragen. Trotz aller Zuversicht blieben Zweifel, weil GC ein unberechenbarer Gegner in einem unberechenbaren einzigen Finalspiel blieb. Doch als Dave Wittwer in seinem aller letzten Karriere-Spiel das Skore eröffnete und Joel Krähenbühl (auch er letztmals im SVWE-Dress) den Ausgleich der Zürcher mit der erneuten Führung beantwortete, war ich sicher, es würde unser Abend werden, der Abend des Rekords.
Das Drehbuch war perfekt und das Team, angeführt von einem überragenden Deny Känzig, spielte sich in einen Rausch und bescherte den SVWE mit einem spektakulären 8:4 -Sieg mit mehrheitlich herrlich herausgespielten Toren den 12. Meistertitel der Geschichte. Anders als beim ersten Titelgewinn konnte ich die Gefühle kontrollieren, es machte sich vielmehr eine tiefe Befriedigung breit – es war vollbracht.
3. Europacupsieg 2005 – 9:1 gegen Kultclub Pixbo
Ich kann mich noch gut an die Teamleiter-Sitzung vor Turnierbeginn erinnern. Da sassen sie die zwei schwedischen und der finnischen Vertreter und flachsten mit den IFF-Vertretern, wohlwissend, dass es am Ende wieder einmal zu einem schwedisch – finnischen Finale kommen würde, wie all die Jahre zuvor. Rot-Weiss Chur hatte es als Schweizer Serienmeister nicht einmal in den Final geschafft, was sollte da das kleine Wiler-Ersigen im Konzert der Grossen mitreden wollen. Und tatsächlich schien alles den erwarteten Lauf zu nehmen. Nach einer Niederlage gegen den norwegischen Meister Greaker schien das Premieren-Aus für den SVWE am Heimturnier in Zürich schon in der Vorrunde besiegelt, denn nun würde es einen Sieg im letzten Gruppenspiel über das grosse Pixbo brauchen. Den Titelverteidiger, den Kultklub dieser Epoche in Schweden. Ein aussichtsloses Unterfangen, fand auch der Wiler Cheftrainer, der schon aus dem Hotel auschecken wollte nach der Niederlage gegen die Norweger. Doch in einer mehrstündigen Sitzung beschloss das Team, mit den Leadern Gebrüder Hofbauer, Adrian Zimmermann, Marcel Kaltenbrunner und den Abwehrrecken Bichsel, Flury und Thorsell, die Schweden zu besiegen. In einem epischen Duell wurden die arroganten Schweden (sie sollten sich im weiteren Verlauf des Turniers beklagen, nicht genügend Schlaf bekommen zu haben, weil im Ort des gewählten Hotels gerade Fasnachtszeit war) mit 7:5 besiegt. Natürlich kam Pixbo trotzdem weiter und zweifelte nicht eine Sekunde an der erfolgreichen Titelverteidigung.
Die Niederlage war nur ein Betriebsunfall. War sie nicht, wie sich nur zwei Tage später herausstellen sollte. Der SVWE- Meistermacher war doch nicht ausgecheckt und das Team hatte den Schwung der Halbfinalqualifikation gleich mitgenommen und mit einem dramatischen 7-6-Sieg über das grosse Helsinki mit dem damaligen Super-Stars JP Lethonen, Manner und Kivilehto als erstes Schweizer Team den Final erreicht. Und dann das Finale gegen Überfavorit Pixbo. Sollte der Coup aus den Gruppenspielen wiederholt werden können? Bis tief ins Mitteldrittel stand die Partie 0:0, als Pixbos neuer Unihockey-Stern Peter Runnestig das 1:0 erzielte und der Favorit auf Kurs schien. Doch dann folgte eine bis anhin nie gesehene Leistung eines Schweizer Unihockeyteams auf internationaler Bühne. Die Formationen um Matthias Hofbauer und Roger Gerber zerlegten das arrogante Pixbo in seine Einzelteile. Tor um Tor erzielte der Aussenseiter, am Ende stand ein 9:1 auf der Anzeigetafel. Viele hatte das Resultat in dieser Grössenordnung erwartet, allerdings in vertauschten Rollen. Der SVWE sorgte mit diesem Triumph national und international für Aufsehen. Sogar dem Beobachter war diese Sensation eine Story wert, der schillernde Watson-«Eismeister» Klaus Zaugg ordnete den Triumph als einer der 10. grössten Schweizer Teamsporterfolge der Geschichte ein. Die Berner Regierung machte ihre Aufwartung an der Sieges-Feier in Wiler, Radio und Fernsehen und die Printmedien berichteten mehrere Tage vom Ereignis.
Wiler-Ersigen war von diesem Moment an in der Sportszene ein Begriff und nur Tage nach dem Triumph folgte die Einladung ans Czech Open, das grösste Klubturnier der Welt. Wohlgemerkt, der Veranstalter übernahm alle Kosten – Übernachtung, Verpflegung, Transporte vor Ort. Der SVWE war auf der Stufe der schwedischen und finnischen Topclubs angekommen und sollte sich dort über 2 Jahrzehnte etablieren.
SRF-Bilder des damatischen Halbfinal-Sieges gegen Helsinki
Ledermedaille – der erste Superfinal 2015
Wieviel musste ich lesen über die Angst des SVWE vor dem Superfinal. Es war das mediale Thema vor der ersten Austragung 2015. Nur weil die Wiler Cupfinal-Bilanz nicht eben glorreich war, zu dieser Zeit war es nur 1 Cupsieg (mittlerweile 3) verglichen mit den neun Meistertiteln, schien der Liga-Dominator Angst vor dem neuen Heilsbringer im Schweizer Unihockey zu haben. Als Sportchef stand ich dabei am meisten im Kreuzfeuer der Kritik, weil ich diesen Marketing-Gag aus sportlicher Sicht als absurd einstufte und mich klar für eine Playoff-Serie aussprach. In einer Pro- und Contra-Kolumne in der Berner Zeitung lieferte ich mir ein „Argumente-Duell“ mit Reto Balmer, Leiter Sport Swiss Unihockey. Natürlich hatte ich die klar besseren Argumente als mein ehemaliger Spieler 🙂 – doch der Superfinal wurde durch die TV-Liveübertragung von der ganzen Szene gehypt.
Nun denn, nach 13 Sekunden im ersten Superfinal der Unihockey-Geschichte erzielte Matthias Hofbauer das 1:0 gegen Malans, wir führten rasch 3:0 und kurz vor Schluss 6:3. Erst in der Schlussphase kam nochmals Hektik auf (Malans glückte noch zwei Tore bei 5 gegen 4). Wieder einmal hatte es Wiler allen gezeigt, den Unkenrufen zum Trotz. Klar war die Freude riesig. Die unsinnige Theorie, dass der SVWE einzelne Finalspiele nicht gewinnen könne, war widerlegt und wurde mit zwei weiteren Superfinal-Siegen endgültig «ad acta» gelegt. Die Meinung über den Superfinal habe ich trotzdem nicht geändert, eine Meisterschaft in nur einem Spiel zu entscheiden, bliebt sportlich mehr als fragwürdig.
Nächste Folge: die lustigsten Momente
Das war`s
*Nach 26 Jahren bin ich das «Virus» los… endlich. Nein, nicht das Corona-Virus – das Unihocky-Virus, das mich 1995 ebenso unerwartet erwischt hat, wie die Menschheit im Frühjahr 2020 Covid19. Durch Zufall kam ich damals zum SV Wiler-Ersigen, wurde als ehemaliger Schreiberling bei einer Lokalzeitung angefragt, beim Saisonbulletin des Vereins mitzuhelfen. Die Zusage endete mit der Wahl zum Vizepräsidenten, wohlgemerkt in meiner (Ferien)-Abwesenheit. An meiner ersten Vorstandssitzung gab ich den Vorstandskollegen den Rat, den Verein sofort aufzulösen, mangels Finanzen und Perspektiven – oder: ganz neu anzufangen und eine Juniorenabteilung zu formieren. Der Rest ist Geschichte: Ich durfte den Aufstieg eines Dorfclubs zur Nummer 1 in Europa und national zum Rekordmeister begleiten und auch ein wenig mitprägen. In diesem 26 Jahren habe ich unglaublich schöne, aber auch bittere Momente erlebt, faszinierende Personen kennen gelernt und vor allem: ich denke, ich konnte mit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit einen Beitrag an die Gesellschaft leisten. Da reicht mir schon eine Zahl: Angefangen mit 0 Junioren, aufgehört mit über 300. Das ist meine Befriedigung, verbunden auch mit dem Dank an alle Funktionäre, die aus gleicher Motivation handeln. Sie sind für unsere Gesellschaft viel wichtiger als all die «unverzichtbaren» Manager, die in ihrer Scheinwelt Jahr für Jahr unanständige Boni abholen (geduldet von der Politik). In einer losen Folge werde ich hier eine Art «best of»-Serie niederschreiben und mich damit aus der Unihockey-Szene verabschieden – Marcel Siegenthaler (Sportchef und Kommunikation SVWE, Juni 1995 bis Juni 2021)